Das Geheimnis
Elektro Willi und Sohn betreiben in Ihrer Freizeit einen kleinen Waschmaschinenladen in Aachen.
Willi bastelt nebenbei aus den Trommeln ausrangierter Waschmaschinen kleine Synthesizer und Klangmodulatoren,
Sohn Klaus schreibt in seiner geringen verbleibenden Zeit Gedichte und gibt eine subversive Literaturzeitschrift namens [SIC] heraus.
Mitte 2005 war Klaus den spießigen und versnobten Literaturbetrieb satt - was er sich wünschte war: Rock'n'Roll!
Mindestens aber beat poetry! So schloss man sich zusammen, machte sich auf nach Hamburg zum Golden Pudel Klub.
Und obwohl Klaus im Suff vor der Lesung all sein Textgut verlor, wurde der Abend ein Erfolg. Klaus hielt
eine punkig-impovisierte Lesung, Willi sorgte für das musikalische Rahmenprogramm. Aber auch dieser
kurze Moment des Glücks riss die beiden nicht völlig aus ihrer Krise, der harte
Waschmaschinenverkaufsalltag trug sein übriges zur Verstimmung von Vater und Sohn bei.
Der Familiensegen hing schief. Klaus, ganz der Vater, hatte plötzlich die Idee:
Ab jetzt rocken wir gemeinsam!
Die ersten Tracks entstanden in einer bierseligen Laune
und gingen leicht von der Hand. Willis Schaffenskrise schien überwunden und schnell stand fest:
„Elektro Willi ist am Start, er rockt nicht soft, nein - er rockt harrrrt!“
In Aachen, auf heimischem Terrain, wollte man nun zum großen Streich ausholen, es sollte eine
Party geben, die das Wörtchen Party verdient und zwar mit einem Mitternachtsspecial,
dass sich gewaschen hat: Elektro Willi und Sohn sollten zur Geisterstunde die Party sprengen.
Klaus kündigte großmäulig an, er werde mit seiner Sekte und Compagnon „Elektro Willi“ auf technoiden
Rythmen in die Nacht davonreiten. Mit Texten wie „Du hast mir Töne in mein Haar geschmiert,
doch meine Kopfhaut ist rasiert ..." sollte das Feuilleton nun endgültig um den gesunden Schlaf
gebracht werden. Kurz vor dem Auftritt beschlich die kleine Familie eine gewisse Selbstkritik.
Habe man etwa zuviel versprochen? Was hätte die Mutter zu alldem gesagt? Sollte man nicht doch
besser eine Spendenaktion für alte Waschmaschinen machen? Wird die Polizei die Party stören?
Klaus maskierte sich vorsichtshalber, beide setzten sich als kleines Bonbon rosige Hasenöhrchen
auf und der Spaß konnte beginnen. Alle rockten, auch die Polizei rockte mit, die Meute verlangte
nach einem Album, Willi und Sohn verlangten Bier.
Frühjahr 2008: Das Album ist da. Wie ein Märchen verkauft sich die neue Platte des Duo
Infernale nicht nur in Aachen, an fremdsprachigen Übersetzungen wird gefeilt, eine Rose wurde nach
dem Sohn in „Diamant Klaus“ umbenannt, die „Autoscooter“ Single wurde im Grand Prix gecovert und
auch die weiblichen Fans nennen ihre Söhne wieder beim Vornamen: „Willi“.
Sind es die Themen, die jeder kennt („Das Knacken in der Rille“) oder die noch keiner kennt
(„Duftbüttel“), der vermeintliche Gegensatz von vulgären und wertvollen Inhaltsstoffen, welche
die Jungfrauen zum Erröten, die lendenschwachen, prostatagepeinigten Altherrentanztees zum
Überschäumen bringen?
Man weiß es nicht und vermutlich wird genau dies auf immer „das Geheimnis“ von Elektro Willi
und seinem verzogenen Ziehsohn bleiben …